Keine Schule, aber ein alternatives Modell - Homeschooling in Spanien

Ort: La Sénia, Katalonien
Besuchsdatum: Juni 2011

HOMESCHOOLING ALS ALTERNATIVE ZUM REGELSCHULSYSTEM IN SPANIEN
Auf der Suche nach Schulen mit alternativen Schulkonzepten in Katalonien musste ich feststellen, dass diese Angebote über den Vorschulbereich hinaus quasi nicht existieren (mit Ausnahme von Barcelona und Girona, wo es insgesamt drei Waldorfschulen gibt).
Vielfältige Kritikpunkte am spanischen Regelschulsystem (dessen Ergebnisse auch laut PISA-Studie unter dem Durchschnitt der OECD-Länder angesiedelt sind und vor allem auf Grund der hohen Zahl an Sitzenbleibern und an Schulabgängern ohne Abschluss als reformbedürftig gilt) sowie der Mangel an Alternativen zum regulären Schulsystem führen dazu, dass immer wieder Eltern beschließen, ihre Kinder gar nicht einzuschulen und sie stattdessen komplett zu Hause zu erziehen und zu unterrichten.
Ich hatte die Gelegenheit, mich mit einer dieser Familien zu treffen und mit dem Vater, Bernat, über ihre Ideen und Konzepte zu sprechen. Neben der Erziehung der Kinder Olga (7), Anna (5) und Macia (2) arbeitet Bernat in Teilzeit als Sportlehrer an einer Grundschule, die Mutter Maite ist als Pädagogin in der Lehrerausbildung tätig.
Die Familie lebt im Dorf La Sénia im sehr ländlich geprägten Süden Kataloniens. Um andere Familien zu unterstützen, die ihre Kinder ebenfalls zu Hause unterrichten und gegenseitige Kontakte zu fördern, haben sie den Verein Abraca´m gegründet.

PÄDAGOGISCHES KONZEPT

Die Basis von Maites und Bernats Arbeit mit den Kindern ist gegenseitiger Respekt. Sie legen großen Wert darauf, die individuellen Persönlichkeiten, Aktivitäten und Bedürfnisse zu respektieren und ihnen die Freiheit zu geben, sich selbst die Themen und Aktivitäten auszuwählen. Dies fußt auf der Überzeugung, dass alle Kinder von Geburt an das Interesse besitzen, zu lernen. Die Kinder stehen dabei klar im Zentrum und werden als Subjekte, nicht Objekte ihres Lernens begriffen. Gleichzeitig wird hiermit versucht, jede Form von Konkurrenzdenken auszuschalten. Dies alles sind Punkte, die an den (spanischen) Regelschulen gerade in umgekehrter Form beobachtet werden können.
Bei der Auswahl der Lehrmaterialien legen die Eltern großen Wert darauf, alle Sinne anzuregen und nicht nur rein kognitiv zu arbeiten. Neben des offensichtlichen Einflusses der Montessori-Pädagogik sind Rebecca und Mauricio Wild zu nennen, die in Ecuador die alternative Experimentalschule PESTA und die Pestalozzi-Stiftung gründeten, sowie die systempädagogischen Ansätze von Bert Hellinger.

DIE LEGALE SITUATION IN SPANIEN
Die meisten Kinder in Spanien besuchen schon ab einem Alter von vier Jahren die Vorschule, in der - im Gegensatz zum freien Spielen in deutschen Kindergärten - schon richtiger Unterricht stattfindet.
Wie in Deutschland gilt die Schulpflicht für Kinder dann ab dem siebten Lebensjahr. Allerdings besteht ein gewisses legales Vakuum, da die Konstitution den Eltern das Recht zuspricht, diejenige Schulform für ihre Kinder auszuwählen, welche ihren moralischen, religiösen und pädagogischen Prinzipien entspricht. Gleichzeitig stünde der Staat in der Pflicht, dieses Angebot auch zu schaffen.
Wenn nun Eltern keine ihren Bedürfnissen entsprechende Schulform finden können, und sich daher dafür entscheiden, ihre Kinder zuhause zu erziehen, hängt im Fall einer Anklage vom jeweiligen Richter ab, welches Strafmaß er verhängt. In letzter Zeit scheint der Trend jedoch dahin zu laufen, den Eltern diese Freiheit zu belassen. Zwar kommt bei jeder versäumten Einschulung von über sechsjährigen Kindern ein Sozialarbeiter zu der betreffenden Familie, wenn dieser sich jedoch davon überzeugt hat, dass die Kinder keinen Schaden nehmen, sondern eine pädagogische Entscheidung hinter der Nicht-Einschulung steht, ziehen sie sich gewöhnlich wieder ohne Konsequenzen zurück.
>> Homeschooling wird in Spanien von etwa 2000 Familien praktiziert (in Deutschland von ca. 500).

PERSÖNLICHER EINDRUCK
Wie von zwei Pädagogen nicht anders zu erwarten, erschien mir die Entscheidung und Herangehensweise der Eltern sehr reflektiert. Zudem haben sie als „Quasi-Schule“ auf einer Finca in Nähe zum Wohnort ein extra Gebäude errichtet, das mit seinen zahlreichen Lern- und Bewegungsmöglichkeiten einer Regel(grund-)schule in nichts nachsteht. Da die Kinder in außerschulische Aktivitäten des Wohnorts, wie Sport, Musik etc. eingebunden sind und die Familie sich regelmäßig mit anderen „homeschoolern“ zum Spielen und Lernen trifft, wirkten sie trotz des fehlenden Schulbesuchs sozial gut eingegliedert. Ein wichtiger Punkt schien mir außerdem, dass die Eltern nicht dogmatisch an ihrer Entscheidung festhalten würden, falls die Kinder in Zukunft von sich aus den Wunsch äußern, die Schule besuchen zu wollen.
Generell löst die Entscheidung zum Homeschooling das Problem nötiger Schulreformen für die breite Masse natürlich nicht. Nur wenige Familien könnten es sich zeitlich und finanziell leisten, ihre Kinder vollständig zuhause zu erziehen. Ganz zu schweigen von der dazu nötigen Bildung und Bereitschaft. Dies ist auch den hier vorgestellten Eltern klar, weshalb sie auf lange Sicht hoffen, eine Schule übernehmen und dort ihre Prinzipien verwirklichen zu können.

Information unter: http://abrassam.blogspot.com/
Kontakt: Maite Fonollosa: abrassam@yahoo.es

Beitrag von: Elke Schliermann
Kontakt: elkeschliermann@web.de

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